Master Thesis [2021-2023]
IRRAMBIVALENZ
An Investigation of the Subject-Object Relationship
in Architectural Space
ABSTRACT
Seit der Einführung der zentralperspektivischen Projektion durch Filippo Brunelleschi im 15. Jahrhundert, hat sich die Architektur und die Darstellung von Gebäuden dieser Form der Projektion untergeordnet. Die rationale, mathematisierte Raumanschauung und Raumwahrnehmung dominierten nun seit mehr als 500 Jahren den architektonischen Diskurs, in dem stets das Subjekt im Zentrum steht. Doch die Welt hat sich im Laufe der Jahrhunderte rasant verändert, wir leben in einer Zeit des radikalen Wandels und sich ständig verändernder physischer Gegebenheiten. Das Heute ist geprägt von digitalen und virtuellen Tools, wir befinden uns inmitten eines Paradigmenwechsels, weg vom Analogen, hin zu einer digitalen Gesellschaft.
Meine Arbeit ist ein Versuch, alteingesessene Denkstrukturen neu zu beleuchten und über den Rand der rationalen Raumanschauung hinauszublicken. Aspekte, wie Kontrast und Ambivalenz, begleiten das Projekt bis zum Schluss. Es bewegt sich zwischen Irrationalität und Rationalität, zwischen Intuition und Logik, Sinnlichkeit und Verstand, Exzess und Kontrolle und beschäftigt sich mit der Frage, wie eine Architektur des Dazwischen entstehen kann. Eine, die zwei unterschiedliche Weltansichten in sich aufnimmt. Entstanden in einem dialektischen Prozess der ständigen Verhandlung zwischen zwei entgegengesetzten Polen und ihren Auswirkungen.
Eine Architektur die Grenzen verwischt, die zwei divergente Geisteshaltungen miteinander vereinbart, die Pluralität zelebriert und in sich manifestiert. Eine Architektur des analog Digitalen, des irrational Rationalen, der intuitiven Logik, des sinnlichen Verstands und der exzessiven Kontrolle.
EINFÜHRUNG
Die Thematik der Raumanschauung und Raumwahrnehmung ist eine viel diskutierte im architektonischen und kunsthistorischen Diskurs. Vor dem 15. Jahrhundert wurde in der Malerei nicht versucht, die Illusion von Tiefe und Raum zu erzeugen. Mit der Einführung der Zentralperspektive durch Filippo Brunelleschi rückte die subjektive Darstellung in den Vordergrund, weil der Mensch plötzlich ins Zentrum der Projektion trat. Über 500 Jahre blieb die Zentralperspektive eine Konstante in der Malerei, bis Paul Cezanne begann diese Art der Projektion und die Stellung des Subjekts in Bezug auf das Objekt kritisch zu hinterfragen. Pablo Picasso und Georges Braque versuchten im Kubismus eine Brechung zwischen Subjekt und Objekt einzuführen. "Es war dem Subjekt nicht mehr länger möglich, das Bild mit Hilfe einer Perspektive sinnvoll zu deuten. Der Kubismus verwendete eine nicht mehr nur monokulare Perspektive [...] und stellte die Stabilität der Bildebene in Frage." [Eisenman, 1995, S. 208] Die Kubisten reagierten damit auf eine sich verändernde Welt und den Beginn des elektronischen Zeitalters. Peter Eisenman zufolge gab es in der Architektur ähnliche Versuche, die aber nur ein kubistisches Aussehen hatten, an der tiefsitzenden, anthropozentrischen Stabilität des Subjekts änderte sich jedoch nichts. "Im Verhältnis von Subjekt und Objekt gab es keine Verschiebung. Wenn das Objekt nunmehr ein anderes Aussehen hatte, so gelang es ihm dennoch nicht, das betrachtende Subjekt zu erschüttern." [Eisenman, 1995, S. 209]
Durch diese Ansichten beeinflusst, stelle ich mir in meiner Masterarbeit die Frage, wie Architektur differenziert gedacht werden kann, außerhalb der klassisch-rationalen Modelle der Raumanschauung. Welche Anforderungen die heutige Zeit, mit all ihren technischen Möglichkeiten, stellt und wie sich diese auf den architektonischen Entwurfsprozess auswirken. Wie analoges und digitales Arbeiten miteinander eine Symbiose bilden können und das eine nicht vom anderen dominiert wird.
Im Zuge der Digitalisierung und Medialisierung nehmen wir Dinge und Objekte um uns herum gezwungenermaßen anders wahr, unsere Wahrnehmung wird sehr stark durch Medien und die digitale Informationslandschaft bestimmt; was wir wahrnehmen, verschwimmt dadurch zunehmend. Informationen werden verkürzt, um die Aufmerksamkeitsspanne der LeserInnen und ZuschauerInnen nicht zu überfordern, aber dennoch deren Sensationslust zu stillen. Wir befinden uns in einem Wandel, weg von der ernsthaften Beschäftigung mit Information, hin zu einem schnellen Konsum von Schlagzeilen. Visuell Wahrnehmbares rückt wahrheitsbildend in den Vordergrund. Der Schein gilt mehr als das Sein. Ein Wandel, der immer mehr entgegengesetzte Lager und Konfliktparteien bildet, die Gesellschaft immer weiter in ein vereinfachtes Denkmuster von Schwarz und Weiß, Rechts und Links treibt. Welche Rolle kann dabei die Architektur spielen? "Architektur wurde immer als der Inbegriff dessen, was Realität erzeugt, verstanden." [Eisenman, 1995, S. 204] Sie bietet die Möglichkeit, neu und differenziert über Dinge nachzudenken, sich von fixen und dogmatischen Ansichten und Blickwinkeln zu lösen und sich zu öffnen, in einer multikulturellen, multiethnischen, multiperspektivischen Gesellschaft, in der es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern unendlich viele Graustufen. In der es nicht nur Subjekt und Objekt gibt, sondern etwas dazwischen. Ein Bruch, zwischen Subjekt und Objekt, der dieses Dazwischen auslöst und freisetzt und den Verlauf meines Entwurfsprozesses bis hin zum finalen Entwurf prägt. Oftmals ist dieses Dazwischen nicht eindeutig und klar zu benennen oder zu beschreiben, dennoch nimmt man es unumgänglich wahr und in sich auf. Es beinhaltet vielleicht das Potenzial, sich von alteingesessenen Denkmustern und Strukturen zu lösen und sich hin zu einer differenzierten (Raum-)Wahrnehmung zu öffnen, da eine Architektur wie diese nicht nur auf eine monokulare und traditionelle Weise wahrgenommen werden kann, sondern man sich als RezipientIn oder BetrachterIn physisch und geistig differenziert positionieren muss, um verschiedenste Aspekte des großen Ganzen mit allen Sinnen wahrzunehmen.
Mein Projekt ist eine persönliche Interpretation eines solchen Bruchs, in dem das Verhältnis von Subjekt und Objekt neu gedacht wird. Ideen und Gedanken aus unterschiedlichen Disziplinen werden als Unterstützung herangezogen und innerhalb des Wirkungsfelds der Architektur neu evaluiert und interpretiert. Anhand der kubistischen Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts und zeitgenössischen Künstlern, die sich mit der Disruption der Subjekt-Objekt Beziehung beschäftigten und beschäftigen, wird zuerst näher auf deren diesbezügliche Thesen im zweidimensionalen Raum eingegangen. Der Schwerpunkt der Künstler, mit denen ich mich beschäftige, liegt auf der Auflösung traditioneller Vorstellungen von Darstellung, Perspektive und Objektivität und der Konzentration auf die subjektive und dynamische Natur menschlicher Erfahrung. Ich stelle mir in meinem Projekt die Frage, ob man diese Verschiebung in der Beziehung von Subjekt und Objekt von der zweidimensionalen Bildfläche lösen und in den dreidimensionalen Raum transferieren kann. Mein Projekt ist ein Versuch einer Antwort auf die Frage, wie sich ein solcher Bruch im dreidimensionalen Raum manifestiert.
DAS MEDIUM DER ZEICHNUNG
Die Zeichnung ist eine Art des Denkens, ein Medium der Kommunikation und ein Ort unendlicher Ideen. Sie ist ein Mittel zur freien, schöpferischen Formulierung von Gedanken und keinen Einschränkungen wie Normen, Regeln, Gravitation oder anderen physischen Gegebenheiten untergeordnet. Das Blatt Papier bildet dabei die Projektionsfläche für eine Idee und die Imagination des menschlichen Gehirns; eine Spielwiese unendlicher Freiheit und der kürzeste Weg von der Vorstellung zur zweidimensionalen Visualisierung geistig-kreativer Prozesse. Die Zeichnung ist keinem funktionalen System untergeordnet, befreit von strukturalistischen, mathematischen und algorithmischen Strukturen.
Durch die fortschreitende Digitalisierung entsteht nachvollziehbarerweise auch in der Disziplin der Architektur die Diskussion zwischen Analog und Digital. Die Wahl der Werkzeuge verschiebt sich immer weiter in den digitalen Raum und die verschiedenen Softwares und CAD-Programme bieten immer einfachere Möglichkeiten rasch komplexe Geometrien zu erzeugen, diesen fehlt jedoch jeder sinnliche und emotionale Aspekt eines von Hand entwickelten Entwurfs. Das analoge Arbeiten wird nach und nach von kalten, emotionslosen Maschinen übernommen und wir geben als EntwerferInnen die Denkarbeit vermehrt an Algorithmen ab. Wie gehen wir als ArchitektInnen mit diesen Veränderungen und mit dem Umstand um, dass Dinge, die uns als Menschen ausmachen, wie Intuition, Emotion und Sinnlichkeit in einen Raum verlagert werden, in dem all dies nicht existiert?
Ich bin davon überzeugt, dass es die Aufgabe von ArchitektInnen ist, sich nicht einfach unbedacht den Verlockungen der digitalen Tools und ihren Möglichkeiten hinzugeben, sondern zu versuchen, die beiden Welten - Analog und Digital - in Symbiose zu bringen. Beide beinhalten jeweils Vor- und Nachteile; auf der einen Seite das Analoge (Arbeiten), ein zutiefst humanistischer Akt, geprägt von Intuition, Emotion, Sinnlichkeit und grenzenloser Kreativität und auf der anderen Seite das Digitale, das Technisch-Mathematische, mit der Fähigkeit Unmengen an Daten aufzunehmen und zu verarbeiten.
Die Verlockung scheint oft groß, sich den scheinbar einfacheren, digitalen Werkzeugen hinzugeben, dennoch bin ich der Meinung, dass der Fokus auf der menschlich-geistigen Auseinandersetzung der ArchitektInnen mit ihrer Umwelt liegen muss und digitale Werkzeuge nur als Hilfsmittel im Entwurfsprozess dienen und nicht den gesamten Prozess übernehmen. Der Beschäftigung mit dem Objekt selbst, im physischen Raum, muss die primäre Aufmerksamkeit gelten, um Schritte und Gemachtes bewerten zu können und den Aspekt des Reflektierens, welcher essenziell beim analogen Arbeiten ist, nicht zu vernachlässigen. Die Aufgabe der ArchitektInnen ist es, eine Symbiose aus Analogem und Digitalem, Irrationalem und Rationalem, Intuition und Logik zu schaffen.
VOM 2D ZUM 3D
Nachdem ich mich mit verschiedensten ArchitektInnen beschäftigte, bei denen die Zeichnung eine wichtige Rolle in der Entstehung eines Projekts spielt, entdeckte ich das Potenzial, meine eigenen Zeichnungen als Ausgangspunkt für die Entwicklung dreidimensionaler Strukturen zu verwenden. Ich war interessiert daran, was in meinen Zeichnungen, die über die letzten 5 Jahre entstanden, steckt und für eine Auseinandersetzung im architektonischen Diskurs relevant sein könnte.
Bei mir dient die Zeichnung als Medium und Instrument verschiedenste Thematiken, die mich beschäftigen, visuell aufzuarbeiten, auszuformulieren und zu verfeinern. Auch formspezifische Aspekte wie die Behandlung und Kontrolle unterschiedlicher Formelemente spielen eine wichtige Rolle. Die Zeichnung fungiert als funktionsgelöstes, nicht durch physikalische Grenzen und Normen limitiertes Medium, um über den Rahmen des Klassischen hinauszudenken. Die Architektur bietet dabei den Projektionsraum, um diese in den dreidimensionalen Raum zu transferieren.
Es war mir wichtig mein Projekt nicht ausschließlich mit digitalen Tools zu entwerfen. In einer Welt, die immer mehr von Softwares und Algorithmen bestimmt wird, sollte meine Arbeit ihren Anfang in der analogen Welt finden. Ich bin der Meinung, dass durch die zunehmende Digitalisierung und die immer ausgefeilter werdenden digitalen Tools, die den Entwurfsprozess immer mehr zu bestimmen beginnen, wichtige Aspekte, die uns als EntwerferInnen ausmachen, wie Intuition, Sinnlichkeit und Emotion, verloren gehen. Gerade deshalb, um diesen Entwicklungen zumindest auf einer persönlichen Ebene entgegenzuwirken, ist dieses Projekt ein Versuch, die Wichtigkeit der Handzeichnung und all der menschlich-geistigen Prozesse, die darin stecken, zu verdeutlichen.
In ersten Prototypen wurde versucht formspezifische Aspekte verschiedener Zeichnungen in den dreidimensionalen Raum zu bringen und von der zweidimensionalen Bildebene zu lösen - im wahrsten Sinne die Formen nicht nur zweidimensional zu verstehen, sondern dreidimensional zu „begreifen“ und das Potenzial bestimmter Formelemente als physisches Gebilde zu verstehen. Erste Objekte entstanden, in denen versucht wurde die formale Sprache der Zeichnung in den Dialekt des Dreidimensionalen zu übersetzen - eine direkte formale Übernahme des Gezeichneten. Ich habe auch die Werkzeuge getauscht, statt Stift und Papier, mit Modellierschlinge in Wachs gezeichnet und anschließend einen Gipsabguss dessen gemacht. Das bezeichnete Papier wurde zerschnitten und in die dritte Dimension gebogen. Doch das Gemachte verblieb im Stadium des Objekthaften, ohne räumliche, interiore Aspekte - es blieben in sich abgeschlossene Objekte.
In der Folge wurden die Zeichnungen thematisch analysiert und reflektiert, welche ihrer Aspekte im architektonischen Diskurs von Wert sein könnten. Es war auch eine Analyse des Selbst, des eigenen Gemachten und dessen, was in einer intuitiv, vom Unterbewusstsein gesteuerten Zeichnung steckt und für den architektonischen Diskurs relevant sein könnte. In meinen Zeichnungen beschäftige ich mich mit Themen wie Illusion, Ambivalenz, Klarheit - Unklarheit, Irrationalität – Rationalität, Überschneidung, Durchdringung, Fragmentierung, analog – digital, organisch – geometrisch, räumliche Ambiguität, Multiperspektivität, Subjekt – Objekt.
Meine Zeichnungen unterliegen einem immerwährenden Versuch zwei entgegengesetzte Entitäten zu verschmelzen. Organische, menschlich anmutende Figuren treffen auf kantige, architektonische Geometrien - im einen Moment stoßen diese sich ab, aber in einem anderen bilden sie eine geschlossene Einheit. Die abgebildeten Objekte und Konstrukte bewegen sich in einem maßstabslosen Kosmos, frei von jeglichen Konventionen, frei in ihrem Sein. Die Darstellungen wirken wie eine Momentaufnahme eines sich ständig in Bewegung befindenden, dynamischen Prozesses. Klar erkennbare Strukturen führen ein konstantes Wechselspiel innerhalb illusionistisch scheinender Raumkonstruktionen. In den Zeichnungen gibt es keine klare Wirklichkeit. Irrationalität und Ambivalenz lassen das Subjekt in einem Zustand der Ungewissheit. Die Körper innerhalb der sich durchdringenden, sich windend und faltenden Strukturen, versuchen ihre Positionierung zu finden, ein konstanter Versuch sich in einer undefinierten und verschwommenen Umgebung zurecht zu finden.
Die Analyse meiner Zeichnungen brachte mich schlussendlich zu dem Gedanken des Bruchs in der Wahrnehmung von Objekten und insbesondere zu den Theorien Peter Eisenmans und zu seinen Thesen bezüglich der Subjekt–Objekt Beziehung in der Architektur und in der Kunstgeschichte.
PETER EISENMAN – MODERNE
Besonders interessant für den Verlauf meines Projekts war die nähere Beleuchtung der Subjekt-Objekt Beziehung im architektonischen, wie auch im kunsthistorischen Kontext. Von der Analyse meiner Zeichnungen abgeleitet, war das Thema des Verhältnisses von Subjekt und Objekt eines, das ich genauer erforschen wollte. Wie wurde dieses Verhältnis in der Vergangenheit gedacht, vor allem seit der Einführung der Perspektive im 15. Jahrhundert? Welche Rolle spielte dabei der Kubismus, und wie wird dieses Thema auch heute noch, von zeitgenössischen Künstlern in ihren Werken behandelt. Von besonderer Bedeutung für mich, als angehenden Architekten, waren die Theorien Peter Eisenmans, wie er sich in dieser Thematik positioniert und wie man dieses Verhältnis im dreidimensionalen, also im architektonischen Raum verstehen und artikulieren kann.
Für Eisenman ist die Bestimmung der sogenannten "condition moderne" der Ausgangspunkt seiner Theorien bezüglich der Moderne in der Architektur. Er behauptet, dass sich mit dem Einzug und dem Wirken von Massenmedien erhebliche Veränderungen in der Wahrnehmung der menschlichen Erzeugnisse ergeben hätten müssen. Dabei kritisiert er, dass die Architektur ihre Grundlagen nie in dem Maße in Frage stellte, wie es andere Disziplinen taten. "Die Schaffung einer zeitgenössischen Architektur, dies ist der grundlegende Anspruch Eisenmans, erfordert zunächst eine radikale Anwendung der Moderne auf die Architektur selbst, eine Selbstaufklärung über unreflektierte Traditionsbestände, die Eisenman mit dem Begriff der Metaphysik der Architektur umschreibt." [Schwarz, 1991, S.48ff.]
Ullrich Schwarz schreibt im Buch Aura und Exzess. Zur Überwindung der Metphysik der Architektur: "Die Moderne ist für Eisenman eine Reflexionsform der Dezentrierung des Subjekts, deren Belege er vor allem in der künstlerischen Moderne seit Baudelaire findet. Er sieht sie also gerade nicht in der Architektur, die, so seine These, bis in die Gegenwart von der Metaphysik des Humanismus beherrscht wird und umgekehrt das ideologische Scheinbild einer längst zerbrochenen Wirklichkeit reproduziert und eine authentische Erfahrung und Verarbeitung der Dezentrierung des Subjekts verweigert." [Eisenman, 1995, S.16]
Eisenman überschreitet die Interpretation von Architektur als einem funktionalem Gebrauchsmittel. Der herkömmliche Funktionsbegriff ist für ihn unbrauchbar, da er von einer anthropozentrischen Welthaltung durchtränkt ist, deren Geltung er radikal bestreitet. "Wenn Eisenman die These vertritt, Architektur habe die Kosmologie ihrer Zeit zu spiegeln, dann meint er – über den engeren Begriff der physikalischen Kosmologie hinaus – die umfassende Komplexität des zeitgenössischen Weltbezugs des Subjekts. Auf diese Weise gewinnt er Anschluss an den allgemeinen philosophischen und künstlerischen Diskurs der Moderne." [Eisenman, 1995, S.14]
SUBJEKT – OBJEKT
Laut Eisenman hätte der Wechsel vom mechanischen zum elektronischen Paradigma erhebliche Auswirkungen im Grundverständnis der Architektur haben sollen. Er vergleicht dabei die Fotografie, welche für ihn zum mechanischen, und das Telefax, welches er zum elektronischen Paradigma zählt. Ersteres ist noch durch eine gewisse Kontrolle des Subjekts bestimmt, der Fotograf, die Fotografin kann selbst über verschiedene Einstellungen, wie Kontrast, Schärfe, oder Textur entscheiden und das Resultat persönlich beeinflussen. "Somit behält das menschliche Subjekt seine diskursive Funktion als Interpret. Das Telefax jedoch bedarf der Interpretationsarbeit des Menschen nicht mehr, da die Reproduktion ohne die Möglichkeit der Kontrolle oder einer Einflussnahme abläuft. Darüber hinaus stellt das Telefax auch den Begriff der Originalität in Frage. Die gegenseitige Entwertung von Original und Kopie ist aber nicht die einzige Veränderung, die das elektronische Zeitalter hervorgerufen hat. Das Wesen dessen, was wir für die Wirklichkeit unserer Welt halten, wurde durch das Eindringen der Medien in die Alltagswelt grundlegend in Frage gestellt. Denn unter Realität verstanden wir, dass sie aus unserer Sicht interpretierbar und gestaltbar sein sollte." [Eisenman, 1995, S.203]
Da die Architektur immer der Inbegriff dessen war, was als Realität verstanden wurde, würde man davon ausgehen, dass der Eintritt in eine medialisierte Welt erhebliche Veränderungen bedingt hätte. Eisenman behauptet jedoch, dass dies nicht der Fall war, weil das mechanische Paradigma die Grundvoraussetzung für die Architektur bildete. " Das elektronische Zeitalter stellt eine große Herausforderung an die Architektur dar, da jetzt die Wirklichkeit durch Medien und Simulation bestimmt wird, der Schein mehr als das Sein gilt, das Sichtbare mehr als das, was ist." [Eisenman, 1995, S.204]
DAS „DAZWISCHEN“
Ein Begriff, der im Zuge dieser Thesen und im weiteren Verlauf meiner Arbeit wichtig ist, ist der des „Dazwischen“ oder "in-between". Eisenman verwendet diesen Begriff in Bezug auf die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt in der Architektur. Er meint damit den Raum oder die Schnittstelle zwischen dem Betrachter, also dem Subjekt und dem Gebäude, dem Objekt. Er argumentiert, dass diese Schnittstelle nicht neutral oder passiv ist, sondern aktiv an der Konstruktion unserer Wahrnehmung und unserer Beziehung zur Architektur beteiligt ist.
Das „Dazwischen“ ist demnach kein bloßer physischer Raum, sondern eine Zone der Interpretation, die unsere Wahrnehmung und unser Verständnis der Architektur beeinflusst. "Die Architektur könnte mit dem Erforschen des Dazwischen beginnen. Eine solche Architektur würde nicht mehr nach einer Trennung der Kategorien Konstruktion-Dekoration, Abstraktion-Figürlichkeit, Figur-Grund, Form-Funktion, einer Werthierarchie oder den traditionellen Klassifikationssystemen der Funktions- und Formentypologie streben; sie würde sich stattdessen bemühen, diese und andere Strukturen zu verwischen. Diese Vorstellung des Verwischens ist nicht weniger rigoros, nicht weniger rational, lässt aber das Irrationale im Rationalen zu.
Für Eisenman ist das „Dazwischen“ also eine wichtige Komponente bei der Brechung der traditionellen Subjekt-Objekt Beziehung in der Architektur und bei der Schaffung neuer Formen der Wahrnehmung und Interaktion mit dem gebauten Raum." [Eisenman, 1995, S.148]
Dieses "Dazwischen" ist auch etwas das ich in meinen Zeichnungen thematisiere. Vielleicht lässt es sich in den gezeichneten Werken besser als Ambivalenz oder Zwiespältigkeit beschreiben. Es befinden sich so gut wie immer zwei oder mehrere Parteien in einer dynamischen Diskussion. Organische Elemente treffen auf Geometrische, Klarheit trifft auf Unklarheit, menschlich anmutende Figuren treffen auf architektonische Formelemente, Abstraktion trifft auf Figürlichkeit, Irrationalität auf Rationalität - Überschneidung, Durchdringung, Fragmentierung. Den Zeichnungen liegt ein ständiger Versuch zugrunde, diese so divergenten Welten zu vereinen und in eine symbiotische Beziehung zu bringen. Dieses ständige Verhandeln zwischen entgegengesetzten Parteien begleitet den gesamten Verlauf des Projekts, vom Anfang der Zeichnung bis zum finalen Architekturentwurf.
DIE PERSPEKTIVE
Seit der Einführung der zentralperspektivischen Projektion durch Filippo Brunelleschi im 15. Jahrhundert, hat sich die Architektur und die Darstellung von Gebäuden dieser Form der Projektion untergeordnet. Die rationale, mathematisierte Raumanschauung dominiert nun seit mehr als 500 Jahren den architektonischen Diskurs, in dem stets das Subjekt im Zentrum steht.
Die Thematik der Raumanschauung und Raumwahrnehmung ist eine viel diskutierte im architektonischen und kunsthistorischen Diskurs. Vor dem 15. Jahrhundert wurde in der Malerei nicht versucht, die Illusion von Tiefe und Raum zu erzeugen. Mit der Einführung der Zentralperspektive, durch Filippo Brunelleschi rückte die subjektive Darstellung in den Vordergrund, weil der Mensch plötzlich ins Zentrum der Projektion trat. Über 500 Jahre blieb die Zentralperspektive eine Konstante in der Darstellung und in der architektonischen Auseinandersetzung.
Seitdem wurde die Architektur laut Eisenman von der Mechanik des geometrisierten Sehraums beherrscht. "Deshalb geht sie auch davon aus, dass die rationalisierte Raumanschauung für ihren Prozess vorrangig und ihm in gewisser Weise auch wesenhaft ist und nicht etwas darstellt, das hinterfragt werden kann. Die Raumanschauung wurde zumeist im Sinne eines mathematisierten Sehraums verstanden, also die besondere Weise des Sehens, durch welches dieses mit dem Denken und das Auge mit dem Verstand verbunden ist. In der Architektur verweist es auf die besondere Weise der Wahrnehmung, welche mit der monokularen, perspektivischen Raumkonstruktion verknüpft ist. Der monokulare Blick des Subjekts in der Architektur ermöglicht die Darstellung aller Projektionen des Raumes auf einer einzigen planimetrischen Ebene. Es ist deshalb auch nicht überraschend, dass die Perspektive, durch ihre Fähigkeit, die Wahrnehmung von räumlicher Tiefe auf einer zweidimensionalen Fläche zu definieren und darzustellen, in der Architektur ein bereitwilliges Anwendungssfeld fand. Und es wundert ebenso wenig, dass sich die Architektur sehr schnell dieser einäugigen, rationalen Sehweise anpasste - mit ihrem eigenen Körper." [Eisenman, 1995, S.204ff.]
"Der Raum wurde, welcher Stil auch immer vorherrschte, als verstehbares Konstrukt geschaffen, welches um räumliche Elemente wie Achsen, Plätze, Symmetrien, etc., angeordnet wurde. Die Perspektive ist in der Architektur noch weitaus wirksamer als in der Malerei, da ein dringendes Verlangen des Auges und des Körpers besteht, sich im Raum durch Einführung einer rationalen, perspektivischen Ordnung orientieren zu können. So war es nicht ohne Grund, dass Brunelleschis Erfindung der Zentralperspektive zeitlich mit dem Übergang vom theologischen und theozentrischen Weltbild zum anthropomorphen und anthropozentrischen Weltbild zusammenfällt. Die Perspektive wurde zum Hilfsmittel, durch welches sich das anthropozentrische Raumbild in der Architektur vergegenständlichte, die diesem Paradigmenwechsel folgte. Die Auswirkungen von Brunelleschis Projektionssystem waren jedoch tiefgreifender als alle folgenden Stilwechsel, denn es begründete die auf das Subjekt bezogene rationalisierte Raumanschauung als den dominanten Diskurs in der Architektur vom 15. Jahrhundert an bis in die Gegenwart. Trotz wiederholter Stilwechsel von der Renaissance bis zur Postmoderne, und trotz der vielen gegenläufigen Versuche, blieb das sehende menschliche Subjekt - einäugig und anthropozentrisch - der wichtigste diskursive Begriff der Architektur." [Eisenman, 1995, S.206]
Im Gegensatz dazu hatten Disziplinen wie die Bildende Kunst, Literatur und Musik mehr Freiheit, mit neuen Formen und Stilen zu experimentieren, weil sie eben nicht an funktionale Zwänge gebunden waren wie die Architektur. Infolgedessen konnten diese Disziplinen die radikalen neuen Ideen und Formen, die für die Moderne kennzeichnend waren, aufgreifen.
KUBISMUS
Der Kubismus löste sich von den Fundamenten der klassischen Darstellung von Objekten aus einem subjektzentrierten Kosmos. "Die allgemeine Veränderung der menschlichen Wahrnehmung als Folge der Herausbildung von Großstädten, der Entwicklung industrieller Strukturen sowie der Revolutionierung der Naturwissenschaften führten bereits im Laufe des 19.Jahrhunderts zu einer Aufweichung des strengen Perspektivraumes. Doch erst Picasso und Braque wandten sich radikal von ihm ab. Sie machten das Sehen und die bildhafte Darstellung des Gesehenen - unabhängig von der Natur, allein als Ergebnis der geistigen Auseinandersetzung mit künstlerischen Problemen - zu ihrem expliziten Inhalt. Obwohl der Kubismus stets seine Referenzialität zur sichtbaren Wirklichkeit bewahrte, stand die Konzentration auf die autonome Bildfläche im Vordergrund. Das Bild als Artefakt, als eine Verteilung von Farben und Formen auf der Leinwand und nicht als illusionistisches Abbild der Wirklichkeit, war das bahnbrechende Ergebnis. Picasso und Braque formulierten damit erstmals eine Bildsprache, die auf die Widersprüche zwischen Wahrnehmung und traditioneller Darstellung der Wirklichkeit reagierte. Wie konnte es nur einen einzigen Betrachterstandpunkt geben, der die menschliche Sehgewohnheit letztlich nicht berücksichtigte? Bei der Darstellung des illusionistischen Bildraumes mittels der Zentralperspektive bedienten sich die Maler einer konstruktiven, mathematischen Logik, die keineswegs der subjektiven Raumwahrnehmung entsprach. Diese basiert nämlich nicht auf einem, sondern auf zwei Augen, auf der Möglichkeit der körperlichen Bewegung im Raum und nicht zuletzt auf den anderen Sinneswahrnehmungen wie Riechen, Hören und vor allem Tasten." [Jooss, 2000, S.75]
Zentralideen des Kubismus sind die Überwindung des klassischen Formenkanons, die explizite Beschäftigung mit dem Problem der Raumdarstellung und die Zerschlagung der klassischen Perspektivenkonstruktion, um damit eine Brechung in die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt einzuführen.
"An die Stelle der früheren perspektivischen Systeme, die jedem Ding einen deutlich bestimmbaren Platz innerhalb einer vorgetäuschten Tiefe zuwiesen, trat nun ein Gefüge aus einander durchdringenden, sich überschneidenden und zergliedernden Flächen. Die räumliche Situation wurde immer unbestimmbarer.
Die Folge war die - farblich und formal - einheitliche Darstellung eines vollkommen "zersplitterten" Gegenstandes im Raum; eine Darstellung, die statt Volumen Flächigkeit erzeugte und in der Hintergrund und Vordergrund zu "einem unerklärlichen räumlichen Kontinuum" verschmolz." [Jooss, 2000, S.77]
Picasso und Braque wurden stark von Paul Cezanne beeinflusst. Für Georges Braque war Cezanne der erste, der sich von der gelehrten mechanischen Perspektive abwandte.
„Wenn Cezanne das Bild sowohl vom zentralperspektivischen Liniengerüst als auch von der Konturen-Zeichnung ablöst und die Gegenstände in Striche und Flecken differenziert, erzeugt er eine lose Ähnlichkeitsbeziehung des Gemalten mit dem Sichtbaren. Die Striche und Farbflecken werden vom Einzelgegenstand unabhängig und lassen sich nicht mehr eindeutig einer Figur oder einer klaren Räumlichkeit zuordnen. Das Dargestellte ist deshalb auch nicht mehr ohne weiteres rekognizierbar, sondern wird als ein Sinnliches empfunden. Die verzeitlichte Wahrnehmung trifft hierin auf ihre eigenen, empirischen Bedingungen: Sie setzt sich aus unendlich vielen kleinen Wahrnehmungen zusammen, den »Sensationen«, die imstande sind, die Wahrnehmung in ihrer veränderlichen Gestalt hervorzubringen, sich mehr oder weniger zu stabilisieren und wieder aufzulösen.“ [Blümle, 2013, S.50]
"Die Bilder befreien sich vom Realismus, von der Welt, so wie das Auge sie sieht, denn die Malerei musste sich neu erfinden, wenn sie neben Fotografie und Film bestehen wollte. Es ist keine abstrakte Kunst, es geht immer noch darum die Welt darzustellen, die jedoch nicht mehr von einem einzigen Standpunkt aus wahrgenommen wird, wie in der italienischen Renaissance. Jetzt will man den Gegenstand in seinem Raum darstellen, in sein Inneres eindringen, ihn in tausend Facetten aufsplittern, ihn begreifen." [Die Anfänge des Kubismus im Centre Pompidou, 2018]
SIMULTANEITÄT
Die Simultaneität ist eine Technik, mehrere Ansichten eines Objektes auf die Bildfläche zu projizieren, die besonders im analytischen Kubismus hervorzuheben ist. Dabei bewegt sich der Maler um den abzubildenden Gegenstand herum und bildet dabei die verschiedenen sukzessiven Aspekte in seiner geistigen Vorstellung in der Zeit ab. In der Konsequenz wurden in einem Bild gleichzeitig verschiedene Ansichten eines Objektes dargestellt und der „einäugige“ und einmalige Betrachterstandpunkt somit aufgelöst. Stattdessen lagen der Darstellung nun mehrfache Blicke aus verschiedenen Winkeln und Distanzen zugrunde. [Jooss, 2000, S.76]
Die darzustellenden Objekte wurden vom Maler gedanklich dekonstruiert und in einer mannigfaltigen Anordnung von sich überlappenden Fragmenten, verwobenen Ebenen und in multiplen Perspektiven, in einem neuen Objekt erneut zusammengesetzt. Daraus ergab sich eine Wiedergabe zeitlich und räumlich nicht übereinstimmender Ereignisse auf derselben Darstellung. Das Ergebnis war eine Form der Gleichzeitigkeit innerhalb einer Ungleichzeitigkeit.
Sowohl der Kubismus als auch Peter Eisenman stellen die traditionellen Vorstellungen von Darstellung und Wahrnehmung in Frage. Die Kubisten mit ihrer Verwendung multipler Perspektiven und Blickpunkten - stellten die Vorstellung in Frage, dass es eine einzige, objektive Realität gibt, die durch die Kunst genau dargestellt werden kann. In ähnlicher Weise stellen Eisenmans Theorien über die Störung der Subjekt-Objekt-Beziehung in der Architektur die Vorstellung in Frage, dass die gebaute Umwelt ein neutraler, objektiver Raum ist, der von BetrachterInnen objektiv erfahren werden kann.
PROJEKT
Mein Projekt wurde nun auf Basis dieser Theorien weitergeführt, mit dem Ziel eine architektonische Struktur zu entwerfen, die eine Verschiebung im Subjekt-Objekt Verhältnis erzeugen kann. Meine Diplomarbeit ist eine Interpretation und ein Experiment eines solchen Bruchs innerhalb des architektonischen Kontexts, der im Dreidimensionalen anderen Parametern unterliegt als im Zweidimensionalen.
Dabei habe ich mich auf eine Zeichnung beschränkt und versucht eine räumliche Struktur, auf Basis dieser Zeichnung zu entwickeln, die als Ausgangspunkt für jeden weiteren Schritt dienen sollte. Es entstand ein Modell ganz im Sinne der Zeichnung – intuitiv, formspezifisch ähnlich, aber räumlich - um die Idee in den dreidimensionalen Raum zu bringen.
Interessant dabei ist die Verbindung zwischen den kubistischen Ideen und Methoden und der Herangehensweise wie ich mein Ausgangsmodell anhand der Zeichnung gebaut habe - im Grunde findet eine gedankliche Dekonstruktion der verschiedenen Elemente in der Zeichnung statt und führt dann zu der erneuten Zusammensetzung des dargestellten Objekts im physischen Raum. Man bewegt sich, ganz im Sinne der Kubisten, gedanklich um das Objekt herum und bildet verschiedene Perspektiven dessen physisch ab - das führt zu einer Darstellung und Materialisierung verschiedener Perspektiven eines Objekts in einem neuen Objekt – „Simultaneität“.
So kommen im Laufe des Projekts immer weitere Parameter hinzu, die den Verlauf mehr und mehr beeinflussen. Das Projekt entwickelt sich von einer irrationalen, intuitiv entstandenen Zeichnung hin zu einer immer räumlicheren Struktur, mit dem Ziel, das Subjekt aus dem Zentrum seiner Welt zu rücken.
ÜBERSETZUNGSSCHRITT INS DIGITALE
Da mein Projekt unter anderem auch darauf abzielt eine Symbiose aus analogen und digitalen Werkzeugen und Methoden zu schaffen, wurde an dieser Stelle der Übersetzungsschritt des Objekts in den digitalen Raum vorgenommen. Das Modell wurde 3D-gescannt, um damit weitere interessante Aspekte herauszufiltern. Die Betrachtung der entstandenen Pointcloud im Vergleich zum gescannten Modell war Anlass für mich, sich näher mit dem Thema der Transparenz auseinanderzusetzen. Zu verstehen wie eine solche Technik einem das Objekt neu und differenziert erscheinen lässt, indem man dieses nun nicht mehr nur von außen, von verschiedenen Perspektiven betrachten kann, sondern von jedem beliebigen Blickwinkel durch das gesamte Objekt, mit all seinen zuvor versteckten, internen Ebenen und Fragmenten blicken kann. Dadurch ergeben sich neue Lesarten und Ordnungssysteme innerhalb des Objekts.
Prinzipiell muss zwischen zwei Vertsändnisweisen von Transparenz unterschieden werden. Einerseits kann Transparenz eine materialinhärente Eigenschaft sein, wie zum Beispiel bei einer Glasfassade andererseits kann damit ein Ordnungsprinzip beschrieben werden. Somit kann zwischen einer buchstäblichen und einer im übertragenen Sinn gemeinten Transparenz unterschieden werden. [Rowe et al., 1997]
"If one sees two or more figures partly overlapping one another, and each of them claims for itself the common overlapped part, then one is confronted with a contradiction of spatial dimensions. To resolve this contradiction, one must assume the presence of a new optical quality. The figures are endowed with transparency; that is, they are able to interpenetrate without an optical destruction of each other. Transparency however implies more than an optical characteristic; it implies a broader spatial order. Transparency means a simultaneous perception of different spatial locations. Space not only recedes but fluctuates in a continous activity. The position of the transparent figures has equivocal meaning as one sees each figure now as the closer, now as the further one." [Kepes, 1944, S.77]
STÜLPUNG
Weiters ermöglichte es der Übersetzungsschritt in den digitalen Raum über eine Projektion des gescannten Objekts auf eine Kugel, dieses von Innen nach Außen zu stülpen, um weitere Qualitäten des Modells zu studieren und zu entpuppen. Es war mir wichtig mit jenen Aspekten weiterzuarbeiten, die in der Zeichnung nur suggeriert werden, aber physisch nicht da sind – nämlich mit dem Raum an sich. Verschiedene Iterationsstufen des Stülpprozesses wurden analysiert mit dem Ziel vom Objekthaften zur Architektur zu gelangen. Durch den Stülpprozess wurde dem Objekt zugleich eine gewisse Verfremdung implementiert.
Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Verzerrung der Maßstäblichkeit. Dadurch, dass das Objekt bei der Stülpung um einen zentralen Punkt rotiert wird, wird es nach außen vergrößert und nach innen verkleinert. So entstehen intensiv gedrängte Räume im Zentrum und weitläufig großzügige räumliche Strukturen in der Peripherie des Objekts.
Die Methode der Stülpung war essenziell für den weiteren Verlauf des Projekts, dadurch, dass dieser Prozess das zuvor aus Flächen bestehende Modell auf eine tiefgreifende Weise, nicht nur in der Skalierung, sondern in der gesamten Geometrie ändert. Die Dominanz der annähernd zweidimensionalen Flächen wurde gebrochen und führte zu einer zunehmenden Verräumlichung der Struktur.
Die Stülpung und ihre Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Objekts waren der erste Schritt hin zu einer Architektur, die sich der klassischen, räumlichen Wahrnehmung entgegenstellt. Der Bruch in der Subjekt-Objekt Beziehung sollte innerhalb des Prozesses seinen Anfang finden und sich im finalen Entwurf über die Architektur artikulieren.
OBJEKT – ARCHITEKTUR
Alle folgenden Entwurfsschritte verfolgten das Ziel, zu einer Architektur zu gelangen, die sich einer klassischen Raumwahrnehmung entgegenstellt und versucht einen Bruch im Subjekt-Objekt Verhältnis zu erzeugen und in sich zu manifestieren - meine persönliche Interpretation einer solchen Verschiebung in der gewohnten Wahrnehmung von Architektur. Wie artikuliert sich so ein Bruch und welchen Parametern unterliegt dieser im architektonischen Raum, in dem räumliche Aspekte nicht mehr nur suggeriert werden, wie auf der zweidimensionalen Bildebene, sondern physisch präsent sind? Ziel ist nicht eine formale Übernahme der Aspekte des Kubismus oder der erwähnten zeitgenössischen Künstler, wie die Fragmentierung oder die Dekonstruktion verschiedener Objekte. Ziel ist die Idee dahinter, die in einer Welt, die einem ständigen radikalen Wandel unterliegt und sich im Vergleich zur Renaissance grundlegend verändert hat, fordert differenziert über Wahrgenommenes und Gesehenes nachzudenken. In einer Welt, in der sich die Wirklichkeit von Tag zu Tag ändert und in der, was wir sehen und was wir wahrnehmen nicht mehr nur einem fixen Standpunkt zugrunde liegt, sondern vielfältig und ambivalent ist.
Im Folgenden wird beschrieben, wie ich diesen Bruch, der aus verschiedenen Aspekten besteht, verstehe und in meinen Entwurf einfließen lasse. Mein Projekt versucht diesen von der zweidimensionalen Bildfläche zu lösen und in den dreidimensionalen Raum zu transferieren. Das Verhältnis von Subjekt und Objekt soll im Forschungsfeld der Architektur neu gedacht werden, um im Endeffekt eine Geometrie zu erzeugen, die eine Verschiebung in der klassischen und gewohnten Wahrnehmung von BetrachterIn und Gebäude auslösen kann.
Der erste wichtige Schritt im Entwurfsprozess war die Kontextualisierung des entstandenen Objekts. Es sollte vom luftleeren, maßstabslosen Raum befreit werden und in einen realitätsnahen, architektonischen Bezug gebracht werden. Bestand zu Beginn des Prozesses die Aufgabe darin, ein in einer Zeichnung dargestelltes Objekt von der zweidimensionalen Bildfläche zu lösen, war es nun essenziell, aus einem dreidimensionalen Objekt, das diverse Iterationsstufen durchlaufen hat, ein Gebäude zu entwickeln. Mit Hilfe von projizierten Achsen wurde das Konstrukt unter Gesichtspunkten der Räumlichkeit, Begehbarkeit und formspezifischen Aspekten transformiert. Bestimmte geometrische Eigenheiten des gestülpten Objekts wurden geglättet und einer begehbaren Architektur angepasst. Räume wurden ausformuliert, die teils arbiträr wirkende Struktur verräumlicht und architektonisiert.
DER BRUCH
Der Bruch, wie ich ihn interpretiere und verstehe, bedingt eine Beschäftigung und ein Interesse des Menschen, also des Subjekts, mit seiner oder ihrer visuellen und generell sinnlichen Perzeption der Umwelt. Ich glaube, er ist der Katalysator eines Prozesses, dessen Ergebnis eine Neubetrachtung von Alltäglichem und selbstverständlich Geglaubtem verlangt. Er entsteht zum einen, indem man sich von gewohnten, alteingesessenen Denkstrukturen und einer statischen Wahrnehmung löst und zugleich akzeptiert, dass die subjektive Wahrnehmung nicht die einzige und bestimmende ist, indem man hinterfragt, ob das Gesehene und Wahrgenommene wirklich das ist, wonach es scheint, oder ob man durch eine Veränderung seines subjektiven Blickwinkels vielleicht hinter die Fassade eines Scheinbildes zu blicken vermag und den Facettenreichtum eines bestimmten Objekts erfährt - Ambivalenz statt Eindeutigkeit, das Irrationale im Rationalen zulassend. Die Kubisten reagierten mit ihrer Auffassung der Welt und der daraus entstandenen Kunstbewegung, auf die sich verändernden Umstände Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie erkannten, dass sich die Wahrnehmung von Objekten und Gegenständen durch die Medialisierung unabdingbar veränderte. Nun, im 21. Jahrhundert, in einer durch und durch digitalisierten Welt, in der es immer schwieriger wird, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu differenzieren, in der der Schein in der Wahrheitsbildung mehr zählt als das Sein und übermäßige Information die Fakten verwischt, stellte ich mir die Frage, wie die Architektur auf diese Umstände reagieren kann. Ich will in meinem Projekt die klassische und monotone Wahrnehmung herausfordern und eine Architektur entwerfen, die sich dieser entgegenstellt. Eine Architektur, die einem in gewisser Weise vor den Kopf stößt, die aneckt und durchaus als Kritik verstanden werden kann. Der Bruch in der Beziehung von Mensch und Architektur findet ihren Anfang in der visuellen Wahrnehmung des Gebäudes und führt sich im Innenraum und in der Bewegung durch die Struktur hindurch fort.
Es wurden vier bestimmte Blickpunkte festgelegt, von denen aus, das Gebäude ein bestimmtes „Gesicht“ zeigt. Es sind die vier Orte, an denen die Architektur die BetrachterInnen glauben lässt, die Struktur rational zu verstehen. Durch Projektionen von linearen Achsen, soll dem Objekt eine Art von Konformität seiner visuellen Wahrnehmung verliehen werden. Ziel ist es, die BetrachterInnen an den vier definierten Punkten in einen Zustand der vermeintlichen Kontrolle ihrer subjektiven Wahrnehmung zu versetzen. Verschiedene Elemente des Gebäudes wirken abgeflacht und verkürzt, als würden sie sich auf einer gemeinsamen vertikalen Ebene befinden. Doch sobald man einen der vier Punkte verlässt, erkennt man, dass die zuvor konform wirkenden Elemente in der Tiefe versetzt sind. In diesem Moment gibt es eine Verschiebung in der Kontrolle der subjektiven Wahrnehmung. Die BetrachterInnen werden dadurch, durch das, was sie sehen und wahrnehmen getäuscht und die subjektiv geglaubte Wirklichkeit beginnt zu bröckeln, in dem Sinne, dass einem die zuvor rational wahrgenommene und vermeintlich konforme Struktur in einer gewissen Art und Weise nur vortäuscht, was man als BetrachterIn zu sehen glaubt. Das Gebäude lässt den Betrachter glauben es rational zu verstehen, doch die subjektive Wirklichkeit ist nur ein Schein, eine Fassade im buchstäblichen Sinn. Die Architektur beginnt ihre Komplexität und Mannigfaltigkeit zu enthüllen und gewinnt dadurch an Autonomie. Das Subjekt wird in einem gewissen Maße dazu gezwungen neu über seine subjektive Wahrnehmung des Objekts nachzudenken.
Der Bruch ist laut meiner Interpretation nicht monoton oder dogmatisch, sondern dynamisch, er besteht aus verschiedenen Aspekten, die zusammen ein Ganzes bilden und dabei helfen ein neues, differenziertes Bild beziehungsweise eine veränderte Wahrnehmung von Architektur und generell der Objekte, die einen tagtäglich umgeben, zu bekommen. Er beginnt in der visuellen Wahrnehmung, die das Subjekt sozusagen anregt und führt sich im Weiteren über die restlichen sinnlichen Faktoren fort. Konformität und Nonkonformität fluktuieren ständig, Rationalität und Irrationalität sind im konstanten Austausch.
Der Bruch ist ein Prozess, der seinen Anfang in der Näherung und Betrachtung des Gebäudes findet und sich im Inneren der Architektur fortführt. Um eine Verschiebung im Verhältnis zwischen Subjekt und Architektur zu erzeugen, muss diese im Stande sein, den BenutzerInnen einen Teil der Kontrolle über ihre subjektive, rationale Wahrnehmung zu entziehen und sie in einen Zustand der Desorientierung und Dislozierung zu bringen. Das Gebäude bedingt eine gewisse Kontrollabgabe des Subjekts, welche zu einer sich aufbauenden Unsicherheit führt und dem Gebäude eine Art Autonomie gibt. Die Hierarchie der Kontrolle verlagert sich, weg vom Subjekt, das seine vollkommene Sicherheit und Klarheit aufgeben muss, hin zur dynamischen und autonomen Struktur des Gebäudes. Das ist der Moment, in dem der Begriff des "Dazwischen" oder des „in-between" [Eisenman] erwähnt werden muss. Meiner Interpretation zufolge ist dieses Dazwischen etwas das entsteht, wenn von zwei starren Entitäten - in diesem Fall RezipientIn und Gebäude - jeweils einer der beiden einen gewissen Teil seiner Autonomie und seiner selbstverständlich geglaubten Wirklichkeit aufgibt, beziehungsweise abgibt und sich somit die Verhältnisse in der Hierarchie der Kontrolle der Wahrnehmung verschieben. Diese Verschiebung in der Verhältnismäßigkeit und somit in der subjektiven Realität und der einhergehenden Desorientierung und Verwirrtheit, löst meiner Meinung nach diese „Dazwischen“ aus und führt zu einer von zwei Entitäten bestimmt geglaubten Welt, zu einer in der diese zwei durch eine weitere ergänzt werden. Desorientierung und Orientierungsfähigkeit fluktuieren ständig, Momente der Orientierung werden immer wieder von Momenten der Verwirrtheit verdrängt, Irrationalität und Rationalität sind in dauerhafter Diskussion und ständigem Austausch. Man befindet sich in einer Struktur, die sich der Rationalisierung des Raums durch das Subjekt entgegenstellt und die BesucherInnen in einem Zustand der Unsicherheit lässt. In gleicher Weise, wie Irrationalität und Rationalität nun in abwechselnder Priorität zusammenwirken, spielt auch die Wechselwirkung von Innen und Außen eine Rolle in der Bewegung durch das Gebäude. Die Beziehung von exterioren und interioren Aspekten war bereits am Anfang des Entwurfsprozesses ein essenzieller Teil des Projekts. Nun findet sich diese Thematik in der Durchwanderung der Architektur wieder. Die Momente der Desorientierung innerhalb des Konstrukts werden immer wieder durch Blickbezüge zur umgebenden Stadt durchbrochen, die die RezipientInnen einen Augenblick der Rationalisierung erhaschen lassen.
Der Bruch beginnt im Außenraum, in der Betrachtung des Objekts und findet sich nun mitten in der Struktur wieder - innen und außen bilden in einem Moment eine Einheit und im anderen wirken diese gegeneinander. Sie stehen in einem ambivalenten Verhältnis zueinander, gleichermaßen wie der Mensch zur Architektur.
CONCLUSIO
Die elektronischen Medien, die im 19. Jahrhundert aufkamen, waren der erste Schritt hin zu einer veränderten Wahrnehmung unserer Umwelt und den Objekten um uns herum. Unsere Sicht auf die Welt hat sich durch die Medialisierung drastisch verändert. Wenn seit der Renaissance das Subjekt der Mittelpunkt der Welt war und sich die Wahrnehmung dieser subjektiven Dominanz untergeordnet hat, so muss man sich heute, in einer zunehmend digitalisierten und virtualisierten Welt, erneut die Frage der Wahrnehmung von Objekten und Gebäuden stellen. Wir leben im 21. Jahrhundert in einer Gesellschaft, in der es nicht mehr nur eine Wahrheit oder eine Wirklichkeit gibt, die Dinge beginnen zu verschwimmen, Wirklichkeiten gehen ineinander über. Wenn es früher eine bestimmte Wirklichkeit gab, so leben wir heute in einer heterogenen Wirklichkeit, in einer multiperspektivischen Gesellschaft, in der sich Wahrnehmungen überlagern, sich von einem dogmatischen Blickwinkel lösen und dadurch die Möglichkeit bieten, differenziert über Dinge nachzudenken und zu diskutieren.
Man wird in dem, was man sieht und was man wahrnimmt verunsichert und die subjektiv geglaubte Wirklichkeit beginnt zu bröckeln, in dem Sinne, dass einem das wahrgenommene Gebäude in einer gewissen Art und Weise nur vortäuscht, was man als BetrachterIn zu sehen glaubt. Dadurch gewinnt die Architektur an Autonomie und nimmt dem Subjekt die zuvor komplett geglaubte Kontrolle über die Bestimmung seiner visuellen Wahrnehmung. Ein Gebäude, das sich dieser einen Wirklichkeit entgegenstellt und den BetrachterInnen in einer architektonischen Weise vor Augen führt, dass die Wahrnehmung nicht statisch und dogmatisch ist, sondern dynamisch, ambivalent und multifacetiert. Das Subjekt soll in seiner gewohnten, manifestierten Vorstellung der Welt gestört werden. Das Wahrgenommene ist ein Augenblick, eine statische Momentaufnahme, welcher ein dynamischer Prozess der Verarbeitung des Gesehenen folgt, was mich zurückführt zum Anfang meines Projekts - zur Zeichnung. Die Zeichnung, die am Beginn des gesamten Projekts steht, ist eigentlich ein Schnappschuss einer sich ständig in Bewegung befindenden dynamisch-räumlichen Gedankenstruktur, die in einem bestimmten Moment zeitlich und räumlich festgehalten wird. Dementsprechend ist das Zeichnen ein Prozess des Einfrierens von Gedanken und erst das Übersetzen in die Architektur wandelt diesen statischen Moment wieder in einen dynamischen Prozess um. Dynamisch nicht nur in der Art der Struktur, die entsteht, dynamisch auch durch die Bewegung durch die Struktur hindurch - also eigentlich die Bewegung durch die architektonisch ausformulierten und materialisierten Gedankengänge vom Anfang des Prozesses. Im Endeffekt bewegt man sich durch ein komplexes Konstrukt von Synapsen beziehungsweise von elektrischen Impulsen, die über das Medium der Zeichnung und mit Hilfe verschiedenster Methoden, Techniken und Übersetzungsschritten, zwischen analog und digital, architektonisch interpretiert wurden.